Allem Anfang wohnt bekanntlich ein Zauber inne. Für uns Menschen beginnt das Pflanzenjahr im Frühling, wenn alles spriesst und austreibt. Gehölze und Bäume fangen allerdings schon viel früher an, sie leisten bereits im Herbst eine erstaunliche Vorarbeit.

Knospen werden gebildet, um Kälteperioden zu überbrücken. Kürzere Tage und sinkende Temperaturen setzen im Herbst die Photosynthese aus, Chlorophyll (Blattgrün) wird nicht mehr gebildet, der Baum stösst die Blätter ab. Dann beginnt die Bildung der neuen Knospen. In ihnen befinden sich – im Kleinformat und bestens geschützt gegen Kälte und Feuchtigkeit – alle Anlagen für die nächste Vegetationszeit: Triebe, Blätter und Blüten. 

Wann erwacht die Knospe zum Leben?

Sobald die Tage im Frühjahr merklich länger und die Temperaturen spürbar höher werden. Viele Vorgänge entdeckt man erst beim genaueren Hinsehen, bevor es dann zur grossen, unübersehbaren 'Explosion' kommt. Im Kleinen vollziehen sich jetzt bemerkenswerte Verwandlungen. Die Säfte steigen auf und lassen die Knospen an Sträuchern und Bäumen schwellen – kleine Wunder geschehen! 

Verschiedene Formen und Aufgaben

Die Knospen der Pflanzen werden auch als Augen bezeichnet. Es gibt Haupt-, Neben- und sogar 'schlafende' Augen. Letztere öffnen sich bzw. wachsen erst, wenn es beispielsweise durch Verletzung eines Astes nötig wird, aus einer gesunden Stelle des Holzes wieder auszutreiben. Ein Auge kann dabei jahrzehntelang schlafen, um sich dann bei Bedarf zu öffnen! Je nach Stellung der Knospe am Zweig wird von Terminal- oder Seitenknospe gesprochen, wobei Form und Aufgabe unterschiedlich sind. Den Unterschied von den schlankeren Blatt- und kugeligeren Blütenknospen zu kennen, hilft beim Obstbaumschnitt, das richtige zu tun bzw. die Entwicklung des Gehölzes und seines Fruchtbehanges 'vorauszusehen'. Weitere Informationen zum Baumschnitt in unseren Gartenvideos

Kann ich anhand der Knospe die Pflanzenart erkennen?

Form, Farbe, Anzahl und Anordnung der Knospen verraten auch im Winter, um welchen Baum oder Strauch es sich handelt – auch ohne Blätter und Blüten. Die jungen Triebe unserer Rotbuche (Fagus sylvatica) zum Beispiel wachsen zickzackartig. Bevor der Zweig die Richtung wechselt, sitzt eine lange, schlanke Knospe, die sich farblich kaum vom Zweig unterscheidet als «energischer» Abschluss an der Spitze. So wirken diese gut verpackten, zartesten Pflanzenteile beinahe wehrhaft. Die Zahl oder Farbe der Knospenschuppen helfen bei der Bestimmung von Gehölzen – so kann der grünknospige Berg-Ahorn auch im Winter leicht vom rotknospigen Spitz-Ahorn unterschieden werden. 

Knospe Tulpenbaum

Die Knospen des Tulpenbaumes (Liriodendron tulipifera) sehen aus wie kleine Fausthandschuhe. Hier ist an der grossen Knospe bereits die eine der beiden Knospenschuppen abgefallen.

Knospe Hainbuche

Die zarten Triebe der Hainbuche (Carpinus betulus) sind schön regelmässig von den
Knospenschuppen umschlossen.

Knospe Magnolie

Die wollig behaarten Knospenschuppen der Magnolie geben im Frühling die zarten Blütenblätter frei.

Knospe Salweide

Die Kätzchen der Salweide (Salix caprea) plustern sich auf und sprengen die schützende Hülle.

Knospe Rotbuche

Wie kleine Stacheln sehen die wehrhaften Knospen der Rotbuche (Fagus sylvatica) aus.

Mehrere Schichten oder Winterpelz?

Damit die zarten Knospen nicht Schaden nehmen, entziehen ihnen die Pflanzen Feuchtigkeit oder sie bilden darin Zuckerlösungen, um den Gefrierpunkt herabzusetzen. Ausserdem gibt es Pflanzen wie zum Beispiel die Kastanie, die die Knospen zum Schutz mit einer Harzschicht überziehen. 
Meistens sind die Knospen mit verschiedenen pergamentartigen Schuppen eingepackt, die Knospe der Salweide verliert ihre einzelnen dunklen Hütchen sehr zierend, wenn sich darunter das silberne Kätzchen aufplustert. Auch «Winterpelz», sprich eine dichte Behaarung, ist eine wärmende Wintertaktik, wie an der Magnolienknospe gut sichtbar.
Es gibt aber auch Ausnahmen, zum Beispiel der einheimische Wollige Schneeball (Viburnum lantana). Ihm fehlen im Gegensatz zu den meisten anderen Gehölzen die Knospenschuppen – er schützt die Knospe mit einem haarigen Filz.

Wann ist Frühling?

Oftmals gibt es im Winter kurze Wärmeperioden – woher «wissen» die Pflanzen, dass es noch nicht Zeit ist für den Austrieb? Dafür ist ein sogenanntes Phytohormon zuständig, das während des ersten längeren Kälteeinbruchs gebildet wird und wachstumshemmend wirkt. Erst im Frühling, wenn dieses Hormon genug abgebaut ist, gibt es für die Pflanzen kein Halten mehr und die Knospen öffnen sich. Dann sind die Triebe sehr verletzlich und späte Fröste setzen vielen Pflanzen zu. Aber sogar dagegen sind viele Gehölze und Bäume gewappnet, sie «öffnen» einfach ihre schlafenden Augen.